Gewalt- und Disziplinprobleme an Schulen
Das erfahren Sie in diesem Beitrag
Sind „Time-Out-Klassen“ oder die Trainingsraummethode eine Lösung?
Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer ist ein Thema, das – obwohl nur über die drastischsten Fälle berichtet wird – in den Medien leider viel zu häufig präsent ist.
Ein aktuelles Beispiel:
Im Mai 2019 berichtete News4Teachers von einer Mutter eines 12-jährigen Schülers sowie deren männlichem Begleiter, die dessen Lehrerin ohrfeigten, schubsten und beleidigten, woraufhin sie mit leichten Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden musste. Die Pädagogin wurde daraufhin von der Mutter angezeigt, da sie den Jungen gemäß deren Schilderungen grob angefasst habe.
Das zeigt, dass die Gewalt auch von Erziehungsberechtigten ausgeht – noch häufiger sind die Angreifer aber Schüler, wie eine 2016 veröffentlichte Forsa-Studie zeigte, über die wir hier im Blog berichteten: „Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer – Beleidigungen, Drohungen und physische Gewalt gegen Lehrkräfte dürfen kein Tabuthema bleiben“.
Ein solcher Fall von Schülergewalt erschütterte Österreich Anfang Mai 2019: Ein Lehrer wurde wohl über längere Zeit von den Schülern gemobbt. In einer auf Video festgehaltenen Szene wird er durch respektloses Verhalten provoziert und körperlich bedrängt, woraufhin er Schüler bespuckt. Danach eskaliert die Situation weiter und er wird gegen die Tafel gestoßen.
Seitens der Politik wurde daraufhin eine flächendeckende Etablierung sogenannter „Time-Out-Klassen“ gefordert, die u.a. in Österreich vereinzelt bereits existieren.
Was sind Time-Out-Klassen?
Häufig wird die Schweiz als Vorbild genannt, wo es bereits Time-Out-Klassen, oft an speziell dafür eingerichteten Schulen, gibt:
Dort handelt es sich um eine sonderpädagogische Fördermaßnahme, die nach nicht auf anderem Wege in den Griff zu bekommende disziplinarischen Verstößen und Krisensituationen von Schülern greift, um Disziplinarmaßnahmen, wie einem Schulausschluss, vorzubeugen. Durch individuell abgestimmte Wochenpläne, Einzel- und Gruppengesprächen werden Unterrichtsinhalte vermittelt sowie die Sozial- und Selbstkompetenz gefördert. Das Ziel ist eine Wiedereingliederung in eine Regelschule.
Nach Angaben des österreichischen Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung soll nun für österreichische Schulen ein Konzept für Time-Out-Klassen für verhaltensauffällige und gewaltbereite Schüler erarbeitet und dieses in einer Pilotphase erprobt werden. Geplant sind separate Kleinklassen von bis zu 8 Schülern, die von „geschultem Personal“ betreut werden.
Schüler, die den Unterricht massiv stören, sollen „unverzüglich“ in diese Klassen geschickt werden können. Ob sie nur ein oder zwei Tage pro Woche oder die gesamte Unterrichtszeit dort verbringen, soll von den einzelnen Fällen abhängig gemacht werden. Die Time-Out-Gruppen sollen verbindlich für die Primar- sowie Sekundarstufe I eingerichtet werden.
Ergänzt werden soll das Konzept durch sogenannte „Cool-Down-Räume“, in die Schüler für kürzere Zeit, den Rest der Schulstunde oder dem Schultag, bei Unterrichtsstörungen, geschickt werden können.
Gibt es in Deutschland ähnliche Modelle?
Time-Out-Klassen, in denen Schüler über einen längeren Zeitraum in eine Förderklasse überwiesen und speziell betreut werden, gibt es nach unseren Recherchen in Deutschland derzeit nicht.
Verbreitet ist dagegen die Trainingsraum-Methode. Sie greift im Gegensatz zu den Time-Out-Klassen bereits bei kleineren Regelverstößen. Auch hier wird, wenn auch für eine viel kürzere Zeitspanne, auf die Separierung der störenden Schüler von der restlichen Klasse gesetzt. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Problem sollen sie wieder in die Klasse zurückkehren, ohne dass sie weiterhin stören.
Das Konzept beruht auf festgelegten Regeln und Konsequenzen, die den Schülern klar und verständlich vermittelt werden müssen. Das Ziel ist, dass alle Schüler ungestört lernen und Lehrerinnen und Lehrer möglichst stressfrei unterrichten können. Insgesamt soll ein respektvoller Umgang miteinander das gemeinsame Leben und Lernen prägen.
Wenn ein Schüler merkt, dass er dem Unterricht nicht mehr folgen kann, kann er freiwillig den Trainingsraum besuchen. Der Trainingsraum wird i.d.R. von einer Lehrkraft oder einem Sozialpädagogen betreut.
Lehrkräfte können Schüler aber auch in den Raum schicken, wenn sie stören und die Klassenregeln nicht einhalten. Passiert dies zum ersten Mal, werden ihm mehrere Fragen gestellt, in denen er u. a. sein Fehlverhalten und die möglichen Konsequenzen davon benennen soll. Er kann sich dann entscheiden, in den Trainingsraum zu gehen oder sein störendes Verhalten einzustellen. Stört er dennoch wieder, wird er in den Trainingsraum überwiesen.
Im Trainingsraum sollen die Schüler durch ein Gespräch mit der Lehrkraft dort und einem gemeinsam erstellten Rückkehrplan, in dem er die Gründe für das Fehlverhalten benennt und nach Lösungen sucht, die Möglichkeit erhalten, sich mit ihrem Verhalten auseinanderzusetzen und zu lernen, verantwortungsvoll zu denken und handeln.
Um nachhaltig etwas zu ändern, sollen sie verstehen, dass sie mit ihrem Verhalten der Gruppe und sich selbst schaden. Der bearbeitete Rückkehrplan ist sein Ticket zurück in den „normalen“ Unterricht. Sieht die Lehrkraft die Aufgabe nicht erfüllt oder stört der Schüler weiter, können Gespräche mit den Eltern sowie ein Verweis des Unterrichts die Folge sein.
- Balke, Stefan: Die Spielregeln im Klassenzimmer: Das Handbuch zum Trainingsraum-Programm, Karoi Verlag, 2003.
- Bündel, Heidrun / Simon, Erika: Die Trainingsraum-Methode: Unterrichtsstörungen – klare Regeln, klare Konsequenzen, Beltz Verlag, 2. Aufl. 2007.
Kritik an Konzepten wie Time-Out-Klassen und der Trainingsraum-Methode
Kritische Stimmen aus Österreich, wie z. B. Wiens Landesschulinspektor für Inklusion, Rupert Corazza, sehen die Gefahr, dass Time-Out-Klassen als schnelle Lösung für störende Schüler wirken könnten wie ein „In-die-Ecke-Stellen“.
Ohne ein gutes Konzept, hochqualifiziertes Personal, der Einbeziehung der Eltern, Einzelbetreuung sowie die Zusammenarbeit innerhalb des gesamten schulischen Standorts, könnte aus den Time-Out-Klassen eine bloße Zusammenballung schwieriger Schüler mit unterschiedlichsten emotionalen und sozialen Problemen werden, schreibt Wilfried Datler in Der Standard (16.05.2019).
In Deutschland äußerte sich die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) ebenfalls kritisch: „Probleme lassen sich nicht einfach wegsperren, sondern sollten gelöst werden.“
In NRW sollen im Rahmen eines Aktionsplans gegen Gewalt nun mehr Stellen für Beratungslehrer, Sozialpädagogen und Schulpsychologen geschaffen werden. Zudem sollen die Ursachen für Gewalt an Schulen und die Wirksamkeit der präventiven Maßnahmen wissenschaftlich untersucht werden.
In den Kommentaren zu den Beiträgen über die Time-Out-Klassen sind die Meinungen gespalten:
- Ein Teil wünscht sich die Chance mit dem Teil der Klasse, der lernen will, Unterricht zu machen, ohne den Großteil der Aufmerksamkeit auf die Störer richten zu müssen.
- Andere möchten als Alternative bzw. Ergänzung eine kontinuierliche, strukturierte Gewaltpräventionsarbeit an Schulen, mehr Unterstützung von Schulpsychologen und Sozialarbeitern sowie Fortbildungen zu Deeskalationsstrategien und Umgang mit Konflikten.
Sie plädieren für mehr Unterstützung durch die Schulleitung – ein Ergebnis, das auch die eingangs erwähnte Studie zu Gewalt an Schulen erbrachte. - Zudem bemängeln Referendarinnen und Referendare, dass das Thema „Gewalt an Schulen“ und der Umgang damit nach wie vor kaum eine Rolle in der Lehrerausbildung spielt. Dadurch treffen sie Situationen, in denen sie mit körperlicher oder psychischer Gewalt konfrontiert werden, völlig unvorbereitet, was der Möglichkeit, passend zu reagieren, entgegensteht.
Auch das Trainingsraum-Konzept wird nicht unkritisch betrachtet:
Rolf Göppel, Professor für Allgemeine Pädagogik an der PH Heidelberg, stellt in seinem lesenswerten Artikel in der Zeitschrift Pädagogik (Ausgabe 1, 2011) mehrere kritische, u.a. die Zielsetzung und Das Wording betreffenden, Fragen, die mit dieser abschließen:
„Ist das Trainingsraum-Programm trotz der bemühten „Eigenverantwortlichkeitsrhetorik“ nicht doch eher ein Ausdruck eines bedenklichen restriktiven pädagogischen Zeitgeistes, der in den letzten Jahren in vielerlei Hinsicht beträchtlichen Aufwind hatte (vgl. Göppel 2010) und dem es vor allem um die Stärkung von Autorität, Gehorsam, Anpassung und Disziplin geht, dem aber Ideen wie Partnerschaftlichkeit, Selbstregulierung, Eigensinn und Partizipation eher suspekt sind?“
In einer Umfrage der Eltern-Redaktion von www.t-online.de bemerkt ein 13-jähriger Schüler: „Ich habe eher das Gefühl, dass es doch eine Strafe ist. Vor allem, dass man vor aller Augen rausgehen muss, wenn man es übertrieben hat. Einmal hat ein Mädchen bei uns sogar geweint, als sie in den Trainingsraum musste.“
Auf der anderen Seite stellen Trainingsräume in Klassen mit mehreren Schülern, die den Unterricht kontinuierlich stören, die einzige Möglichkeit dar, mit einem Teil der Klasse mit dem Lernstoff weiterzukommen, solange sich an den Klassengrößen und dem Mangel an zusätzlichem, geschultem Personal nichts ändert.
Fazit
Für Lehrerinnen und Lehrer und auch Schüler, die durch das störende Verhalten von Mitschülern am Lernen gehindert werden, können Konzepte wie die Trainingsraum-Methode oder Time-Out-Klassen eine rasche Hilfe sein. Bei letztgenanntem allerdings erst, wenn die Situation bereits eskaliert ist und wenig andere Optionen offenstehen, um einen Schulverweis noch abzuwenden.
Aus unserer Sicht wäre es wichtig, diese Maßnahmen, wenn sie angestrebt werden, mit einem durchdachten Gewaltpräventionskonzept zu kombinieren und die Schulen besser mit Personal und Lehrkräften, wie z. B. Schulpsychologen und Schulsozialarbeitern, auszustatten. Diese Mittel wirken vielleicht nicht so unmittelbar, versprechen dafür aber nachhaltige Erfolge.
Wenn Konzepte, wie das des Trainingsraums, zum Einsatz kommen, sollte sehr darauf geachtet werden, dass es eben nicht als von oben diktierte Strafe verstanden wird und als „Rausschick-Methode“ einem „In-die-Ecke-Stellen“ gleichkommt. Das kann gelingen, wenn ein Verständnis für die Gründe, die hinter dem Fehlverhalten stecken, gewonnen wird – sowohl bei den Schülern selbst wie auch bei Ihnen als Lehrerinnen und Lehrern. Mit Lösungen für diese Probleme kann den Schülern geholfen werden, die Störungen tatsächlich abzustellen.
Positiv zu erwähnen ist auf jeden Fall, dass inzwischen mehr über Fälle von Gewalt an Schulen diskutiert wird und es kein Tabuthema bleibt.
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