
Nachteilsausgleich bei Lese-Rechtschreibstörung (LRS)

Christian Schwier – stock.adobe.com
Der Nachteilsausgleich bei einer Lese-Rechtschreibstörung (LRS) ist ein wichtiges Instrument, um betroffene Schülerinnen und Schüler im Schulalltag v. a. bei Leistungsmessungen fair zu unterstützen. Etwa 3 bis 8 % aller Kinder zeigen trotz normaler Intelligenz erhebliche Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.
Während andere mühelos lesen lernen, wird für sie jedes Wort zur Hürde. LRS ist kein kleines Stolpern, sondern ein täglicher Hürdenlauf, der sich auf Leistungen und Selbstwert auswirken kann.
In diesem Beitrag erfahren Sie, was Nachteilsausgleich bei LRS bedeutet, wie er beantragt wird und worauf Sie als Lehrkraft achten sollten.
- Warum gibt es einen Nachteilsausgleich bei LRS?
- Wie kann ein Nachteilsausgleich bei LRS aussehen?
- Was Nachteilsausgleich leisten kann – und was nicht
- Umgang mit Unsicherheiten oder Kritik
- Wer hat Anspruch auf Nachteilsausgleich bei LRS?
- Wie können Eltern einen Nachteilsausgleich beantragen?
- Wer entscheidet über den Antrag?
- Wird ein Nachteilsausgleich im Zeugnis erwähnt?
- Gibt es auch für Dyskalkulie (Rechenschwäche) einen Nachteilsausgleich?
Die Lese-Rechtschreibstörung (LRS), auch Legasthenie oder Lese-Rechtschreibschwäche genannt, ist eine Beeinträchtigung beim Erlernen des Lesens und/oder Schreibens, die nicht auf mangelnde Intelligenz, unzureichende Beschulung oder soziale Ursachen zurückzuführen ist. Sie zählt zu den häufigsten Teilleistungsstörungen im schulischen Kontext.
Im Beitrag „Legasthenie und Dyskalkulie: Bewusstsein steigern und Anzeichen erkennen“ finden Sie eine Liste mit Anzeichen für LRS und weitere Tipps für Lehrerinnen und Lehrer.
In der Betzold Beratung finden Sie Informationen zu Fördermaterialien für LRS.
Warum gibt es einen Nachteilsausgleich bei LRS?
Der Nachteilsausgleich bei einer Lese-Rechtschreibschwäche ist eine schulische Maßnahme, die sicherstellen soll, dass betroffene Schülerinnen und Schüler ihre fachlichen Leistungen unter fairen Bedingungen zeigen können. Das Ziel: Chancengleichheit, nicht Bevorzugung.
Das Gebot der Chancengleichheit fußt auf Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des deutschen Grundgesetzes, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Eine medizinisch diagnostizierte Lese-Rechtschreibstörung wird in der Rechtsprechung als Behinderung im Sinne dieses Artikels gewertet – konkret als Beeinträchtigung in den technischen Fertigkeiten des Lesens und Schreibens sowie in der Darstellung vorhandenen Wissens. Um Benachteiligungen zu vermeiden, besteht ein Anspruch auf Nachteilsausgleich.
Kinder mit LRS haben oft nicht weniger Wissen oder geringere fachliche Fähigkeiten, sie können diese jedoch wegen ihrer Beeinträchtigung schlechter zeigen. Zum Beispiel brauchen sie mehr Zeit, um Texte zu erfassen oder Aufgaben zu verschriftlichen. Ein Nachteilsausgleich gleicht diese Hürden aus, ohne die fachlichen Anforderungen zu verändern.
Wie kann ein Nachteilsausgleich bei LRS aussehen?
Ein Nachteilsausgleich soll sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler ihre Leistungen unter möglichst chancengleichen Bedingungen zeigen können. Der Umfang und die Maßnahmen hängen immer vom Einzelfall und den Regelungen des Bundeslandes ab.
Häufige Maßnahmen sind:
- verlängerte Arbeitszeit bei Klassenarbeiten oder Tests
- größerer Zeilenabstand, größere Schrift in Aufgabenstellungen
- Nutzung von Hilfsmitteln (Computer, Leselineale, Wörterbücher)
- Bereitstellung von Audioversionen oder Vorlesen von Texten und Aufgaben
- stärkere Gewichtung mündlicher Leistungen (z. B. mündlicher statt schriftlicher Vokabeltest)
Damit der Nachteilsausgleich nachhaltig wirkt, ist eine gute Dokumentation und Transparenz im Schulteam entscheidend:
- Schriftliche Förderpläne und individuelle Lernvereinbarungen helfen, Maßnahmen nachvollziehbar zu machen.
- Absprachen im Kollegium sorgen dafür, dass der Nachteilsausgleich auch bei Fachlehrkräften umgesetzt wird.
- Dokumentieren Sie regelmäßige Überprüfungen der Maßnahmen. So kann die Unterstützung bei Bedarf an den Entwicklungsstand des Kindes angepasst werden.
Die Regelungen zum Nachteilsausgleich unterscheiden sich in den Bundesländern teils deutlich in Bezug auf Dauer, Beantragung oder dem Umfang des Notenschutzes.
Sie sollten sich daher immer über die aktuellen Vorgaben im eigenen Bundesland informieren. Informationen können das Schulamt oder die Schulleitung geben oder durch die offiziellen Verwaltungsvorschriften.
Als Lehrkraft können Sie sich bei Fragen an folgende Stellen wenden:
Was Nachteilsausgleich leisten kann – und was nicht
Ein Nachteilsausgleich schafft vergleichbare Bedingungen für den Leistungsnachweis, damit Schülerinnen und Schüler zeigen können, was sie inhaltlich verstanden haben, ohne durch ihre LRS benachteiligt zu sein.
Grenzen zeigt der Nachteilsausgleich dort, wo grundlegende Kompetenzen im Lesen und Schreiben fehlen. Hier sind gezielte Fördermaßnahmen erforderlich. Wichtig ist daher die Kombination von Nachteilsausgleich und individueller Förderung.
Umgang mit Unsicherheiten oder Kritik
Im Schulalltag kann es passieren, dass Kolleginnen und Kollegen oder Eltern den Sinn eines Nachteilsausgleichs infrage stellen. Etwa mit Aussagen wie:
„Das ist doch unfair den anderen gegenüber“ oder „Wird hier nicht einfach weniger verlangt?“.
Hier hilft es, klarzustellen:
- Der Nachteilsausgleich verändert nicht die Leistungsanforderung, sondern nur die Bedingungen zur Erbringung.
- Er basiert auf einer fachlich fundierten Einschätzung und ist rechtlich abgesichert.
- Er soll nicht bevorzugen, sondern benachteiligungsfrei beurteilen.
Am wirksamsten ist der Nachteilsausgleich, wenn er von einer pädagogischen Haltung der Wertschätzung und Teilhabe getragen wird. Kinder mit LRS erleben im Schulalltag häufig Frust. Eine Lehrkraft, die aufmerksam zuhört, ermutigt, fördert und Chancen eröffnet, ist oft genauso entscheidend wie jede Maßnahme im Erlass.
Vertrauen, Verständnis und klare Kommunikation sind zentrale Faktoren für eine gelingende Umsetzung. Letztlich geht es darum, dass jedes Kind, unabhängig von seinen Voraussetzungen, mit Freude lernen und Leistung zeigen darf.
Wer hat Anspruch auf Nachteilsausgleich bei LRS?
Auch hier gilt: Die Regelungen in den Bundesländern unterscheiden sich.
Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht für Schülerinnen und Schüler in der Regel, wenn eine anhaltende und deutlich ausgeprägte Beeinträchtigung im Bereich des Lesens und/oder Rechtschreibens vorliegt, nicht nur vorübergehende Schwächen oder mangelnde Übung.
Grundsätzlich ist ein Nachteilsausgleich für alle Klassenstufen möglich, nicht nur in der Grundschule.
Sie als Lehrerinnen und Lehrer haben hier eine wichtige Rolle: Sie beobachten die Leistungen, dokumentieren Auffälligkeiten und beraten gemeinsam mit der Schulpsychologie und den Eltern über das weitere Vorgehen. Häufig geht ein Nachteilsausgleich mit Fördermaßnahmen einher, die frühzeitig eingeleitet werden sollten. Auch diese sollten beobachtet und dokumentiert werden, ob sie erfolgreich sind. Parallel ist es hier sinnvoll, das Kind lerntherapeutisch begleiten zu lassen.
Ein vertrauensvoller Austausch zwischen Lehrkräften, Eltern und Lerntherapeutinnen bzw. Lerntherapeuten und ein gemeinsames Vorgehen ist für den Erfolg der Maßnahmen wichtig.
Wie können Eltern einen Nachteilsausgleich beantragen?
Der Nachteilsausgleich muss meist schriftlich beantragt werden. Je nach Bundesland und Schulform bei der Schulleitung oder der Schulbehörde. Manche Bundesländer verlangen ausdrücklich ein ärztliches bzw. psychologisches Gutachten, in anderen ist eine schulinterne Feststellung ausreichend.
In manchen Bundesländern, wie z. B. Hessen, kann ein Nachteilsausgleich auch auf Initiative von Lehrerinnen und Lehrern erfolgen.
Notwendig sind in der Regel:
- ein formloser, schriftlicher Antrag durch die Eltern oder des volljährigen Schülers/der volljährigen Schülerin
- ggf. ein ärztliches bzw. psychologisches Gutachten (häufig nur für einen Notenschutz notwendig)
Mögliche Anlaufstellen für ein LRS-Gutachten:
- Kinder- und Jugendpsychiaterinnen bzw. -psychiater
- Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen bzw. -therapeuten
- psychologische Psychotherapeutinnen bzw. -therapeuten
- schulpsychologische Dienste
- Fachärztinnen bzw. Fachärzte
- lerntherapeutisch tätige Fachkräfte – sofern sie mit anerkannten Testverfahren arbeiten und die Bundesland-Regelung dies zulässt
Wer entscheidet über den Antrag?
Über die konkrete Maßnahme entscheidet in der Regel die Schule bzw. die Schulaufsicht im Einzelfall. Die Regelungen sind in den Bundesländern unterschiedlich.
In Baden-Württemberg entscheidet beispielsweise die Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz unter Vorsitz des Schulleiters bzw. der Schulleiterin und unter Einbeziehung von Eltern und dem betroffenen Schüler/der betroffenen Schülerin.
Ist der Antrag erfolgreich, werden die Maßnahmen schriftlich festgehalten. Das schafft Transparenz für Eltern wie Lehrkräfte.
Wird ein Nachteilsausgleich im Zeugnis erwähnt?
Während ein Nachteilsausgleich nicht im Zeugnis erwähnt wird, kann das beim Notenschutz der Fall sein.
Abgrenzung: Fördermaßnahmen, Nachteilsausgleich und Notenschutz
Der Nachteilsausgleich bei LRS unterscheidet sich klar von anderen Maßnahmen:
- Fördermaßnahmen zielen darauf ab, die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten gezielt zu verbessern (z. B. durch spezielle Förderstunden, Hilfestellungen oder Materialien).
- Der Nachteilsausgleich verändert die äußeren Bedingungen von Leistungsnachweisen, damit Schülerinnen und Schüler trotz LRS ihr Wissen zeigen können.
- Der Notenschutz betrifft die Bewertung der Lese- und Rechtschreibleistung: In manchen Fällen wird sie ganz oder teilweise ausgesetzt, etwa bei Aufsätzen. Ziel ist es, die Benotung auf die fachlichen Inhalte zu konzentrieren und nicht auf die beeinträchtigte Leistungskomponente.
Wichtig: Notenschutz ist nicht automatisch Bestandteil des Nachteilsausgleichs und wird in den Bundesländern unterschiedlich geregelt.
Gibt es auch für Dyskalkulie (Rechenschwäche) einen Nachteilsausgleich?
Ja, ein Nachteilsausgleich ist möglich, aber nicht bundesweit einheitlich garantiert. Die Entscheidung hängt vom jeweiligen Bundesland, dem Einzelfall und oft auch von der schulischen Einschätzung und Stellungnahme ab.
Weitere Beiträge:
Lerntherapeutin Susanne Seyfried stellt hier Bücher vor, die die Themen LRS und Rechenschwäche aufgreifen, um Schülerinnen und Schüler zu stärken und ihnen aufzuzeigen, dass sie mit ihren Herausforderungen nicht allein sind:
Fehler begleiten Kinder mit LRS täglich. Wer sie nur als Misserfolge wahrnimmt, riskiert ein negatives Selbstbild und schwindendes Selbstvertrauen. Eine positive Fehlerkultur hingegen hilft, Fehler als Teil des Lernens zu begreifen und daran zu wachsen. Tipps dafür finden Sie hier:
Quellen:
- Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg: Schulische Hilfen bei Leserechtschreibschwierigkeiten
- Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Nachteilsausgleich und Deckung von Förderbedarf
- Lerntherapeuten Netzwerk: Nachteilsausgleich verständlich erklärt: Regelungen und Praxisbeispiele aus allen Bundesländern und Österreich
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